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kunst+kind berlin für eine familiengerechte Förderpraxis

In Deutschland richten sich die meisten Preise, Stipendien und Residenzen, die von privaten oder öffentlichen Institutionen an Künstler*innen vergeben werden, an unter 35-jährige, unabhängige und flexible „emerging artists“. Da die Elternschaft in der Regel in den Zeitraum zwischen 25 und 40 Jahren fällt, sind jene Künstler*innen benachteiligt, die Kinder und damit Sorgeverpflichtungen haben. Oft sind sie zu alt oder durch Kinderbetreuung und Schulpflicht ortsgebunden. Damit können sie sich nicht auf Residenzstipendien bewerben, die mit einer (!) Ausnahme in Deutschland nicht zur Mitnahme von Kindern konzipiert sind. Für professionell tätige Künstler*innen ist es aber essentiell, Residenzen, Stipendien und andere Förderungen im Lebenslauf nachzuweisen. Denn für Juror*innen und Entscheider*innen des Kunstbetriebs sind oft nur jene eligibel, die eine kontinuierliche und dichte Produktions-, Förder- und Ausstellungsbiografie vorweisen können. Künstlerinnen mit mehrjährigen Betreuungsverpflichtungen oder Alleinerziehende gehören selten dazu.

Besonders schwierig gestaltet sich für Künstlerinnen nach Geburt und Elternzeit der Wiedereinstieg in den Beruf. Während ihre Teilhabe am Fördersystem mit Auslobungen und Preisen, Stipendien und Residenzen bis zum 30. Lebensjahr mit denen der männlichen Kollegen etwa gleichauf ist, kommt es danach zu einem Einbruch in der Berufslaufbahn – mit stetigem Abwärtstrend. Ein Rentenanspruch von durchschnittlich 280.- € und Altersarmut bei bis zu 90% der Künstlerinnen gehören zu den erschütternde Folgen. (siehe Studie des Instituts für Strategieentwicklung IFSE und bbk berlin, Mai 2018)

1. Aufhebung der Altersbeschränkung

Viele Stipendien und Preise werden altersbeschränkt vergeben. Nur die wenigsten Auslober*innen gewähren einen Bonus für Elternzeiten. Gemeinsam mit der Initiative maternal fantasies arbeitet kunst+kind berlin daran, die betreffenden Institutionen auf das Problem aufmerksam machen.

Auslober*innen mit Alterseinschränkung sind z.B.:

Akademie Schloss Solitude

Jutta Cuny Franz-Erinnerungspreis

Werner-Kühl-Preis

Braunschweig Projects

Förderpreis Kirche-Kunstpreis.de

KSN-Stiftung Northeim

Stipendium Junge Kunst Lemgo

Otmar-Alt-Stiftung

etc.

2. Familienfreundliche Residenzprogramme

Das von Künstlerinnen initiierte Stipendium des Künstlerguts Prösitz nahe Leipzig bietet Arbeitsmöglichkeiten für Künstlerinnen mit Kinderbetreuung. Bildhauerinnen mit Kindern können sich einmal im Jahr um eine einmonatige Residenz bewerben. Damit steht Prösitz für ein in Deutschland einzigartiges, familienfreundliches Programm.

kunst+kind berlin wendet sich an Land und Bund, um auf die Vorbildfunktion dieses Angebots aufmerksam zu machen und mehr Initiative zur Errichtung weiterer solcher Residenzen zu fordern.

https://kuenstlergut-proesitz.de

Näher noch an der Lebensrealität einer Künstlerin mit jüngeren Kindern ist das Modell eines Stipendiums, das vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft in NRW ausgelobt wird. Das Vor-Ort-Stipendium richtet sich an Künstlerinnen mit Kindern, die aus naheliegenden Gründen (Betreuung, Schulpflicht, soziales Umfeld etc.) keine Residenzaufenthalte absolvieren können und dennoch auszeichnungswürdig sind. Sie erhalten ein Jahr lang vom Land NRW eine finanzielle Zuwendung vor Ort.

Über eine Quotierung der bestehenden Stipendien (z.B. Recherche- oder Arbeitsstipendium des Landes Berlin) könnte ohne jeden Aufwand eine solche Stipendienreihe auch hier vergeben und damit ein zeitgemäßer Beitrag zur Chancengerechtigkeit geleistet werden.

3. Wiedereinstiegsstipendium für Künstlerinnen nach der Familienphase

Viele Künstlerinnen entscheiden sich zu Beginn ihrer Karrieren gegen Mutterschaft. Dass im „gleichgestellten“ Berlin und im „modernen“ Deutschland solche Entweder-Oder-Entscheidungen noch getroffen werden müssen, ist alarmierend. Auch im steuerfinanzierten Kunstbetrieb scheint man sich dieses Dilemmas noch nicht bewusst zu sein. Statistisch ist aber nachgewiesen, dass Künstlerinnen, die für die Kindererziehung vorübergehend aus dem Kunstbetrieb ausgestiegen sind, selten anknüpfen können an ihre Karrieren – gender pay gap und gender show gap sind vorprogrammiert (siehe Studie des IFSE und bbk berlin). Viele Künstlerinnen wechseln dann in andere Berufe und geben ihre Kunstproduktion ganz auf

In weniger männlich-dominierten, weniger konservativen Berufsfeldern als dem Kunstbetrieb gibt es vielfältige Wiedereinstiegsmöglichkeiten für Frauen nach der Elternzeit.

kunst+kind berlin plädiert daher für eine Anpassung an andere Berufszweige und z.B. die Errichtung von Wiedereinstiegsstipendien.